Neuenkirchen, 27. März 2023

 

Fastenpredigt:  Phil 2,5-11 und Mk 15,33-41

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Liebe Geschwister im Glauben an Christus Jesus,

Ihre Pfarrkirche hat einen schönen Namen: Anna. Wir wissen wenig Gesichertes über die Mutter von Maria, die Großmutter von Jesus, über Anna. Die Bibel erzählt nichts über sie. Andere alte Texte tun dies jedoch. Sie erzählen von besonderen Umständen bei der Empfängnis und Kindheit von Maria, der Mutter Jesu. Maria ist in Unschuld geboren, so heißt es, eine Frau ohne Makel, erwählt im Mutterleib, erlöst schon vor der Zeit, geboren ohne Sünde – Maria Immakulata. Sehr alt ist die Festtradition vom 8. Dezember: Maria, die Tochter von Anna und Joachim, wurde bewahrt vor der Erbsünde, sie ist das erste neue Geschöpf, die neue Eva, eine Frau, die alle evangelischen Tugenden lebt: Maria glaubt an die Botschaft des göttlichen Engels, sie vertraut auf sein Wort, sie begleitet Jesus auf seinen Wegen, sie geht mit bis unter das Kreuz. Mit ihr, mit Maria, beginnt Gott einen neuen Weg, den Weg der Erlösung in Christus Jesus, ihrem Sohn. Ohne Frauen werden weder Frauen noch Männer geboren.  Tiefe Achtung erfahren Frauen in der gesamten Schöpfungsgeschichte – die Frau schenkt das Leben. Die Frau ist ein Segen – ohne sie ist kein Leben.

Auch der Evangelist Markus vergisst die Frauen nicht, die Jesus in Galiläa auf seinen Wegen begleitet haben, seine Worte hörten, seine Wunder sahen und zum Glauben kamen. Der Evangelist nennt drei Namen: Maria aus Magdala und Salome und eine zweite Maria, die Mutter von Jakobus und Joses. In der Apostelgeschichte ist von einem Bruder von Jesus die Rede. Er heißt Jakobus. Jakobus der Bruder Jesu, seine Mutter Maria – könnte es sein, dass mit der zweiten Maria in unserem Evangelium von heute die Mutter von Jesus gemeint ist? Aber kann Jesus überhaupt Geschwister haben? Blieb Maria nicht immer Jungfrau?

Die Erzählungen über Frauen und die Besonderheiten ihrer Geburten stimmen nachdenklich. In der Theologie versuchen wir, die eigentliche Botschaft hinter den Erzählungen zu entschlüsseln: Schrift und Tradition wollen verkündigen, dass Gott alle Fäden in der Hand behält in seiner Schöpfung. Gott vermag Maria noch vor ihrer Geburt zu berufen als Mutter von Jesus. Jesus ist wahrhaft Gottes Sohn, sein Gesandter, sein Bote, sein Ebenbild in Menschengestalt – so bekennt als erster ein römischer, ein heidnischer Hauptmann unter dem Kreuz. Gott behält die Fäden in der Hand. Gott lässt zu, dass Jesus stirbt, ja Gott lässt sogar zu, dass Jesus schreiend stirbt und am Ende nahezu verzweifelt fragt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Wir wissen, dass diese Worte der Beginn von Psalm 22 sind. Wir wissen auch, wie dieser Psalm endet: mit der Bekundung von Vertrauen in Gott, Gottvertrauen des klagenden, zweifelnden, schreienden Beters, Vertrauen auf seine Errettung durch Gott. Wir hoffen darauf, wir wissen es nicht, wir hoffen, dass Jesus den Klagepsalm 22 bis zum Ende hat beten können vor seinem Tod. Dann ist er im Vertrauen auf Gott gestorben, der seinen Gerechten nicht im Tod belässt. Und das ist ja wahr geworden: Jesus ist von Gott auferweckt worden. Gott hat auch beim Tod Jesu die Fäden nicht aus der Hand gegeben. Jesus lebt – und die erste Maria in unserem Evangelium, jene aus dem Fischerdorf Magdala, Maria ist ihm, dem lebendigen Gekreuzigten, am Grab am Ostermorgen begegnet. Jesus hat ihren Namen erinnert, sie angesprochen: Maria. Papst Franziskus hat das Fest der Maria von Magdala am 22. Juli in der liturgischen Ordnung zu einem Gedenktag mit Pflicht-Charakter erhoben, der in der gesamten Kirche zu feiern ist. Frauen sind nicht vergessen in der Kirche – ihrer wird gedacht.

 

Worauf kommt es an in der Kirche Jesu Christi – In unserer Kirche und in allen christlichen Gemeinschaften? Es kommt darauf an, dass alle, die dazu berufen sind, die das Charisma dazu haben, das österliche Evangelium in Tat und Wort verkündigen. Alle – Männer wie Frauen. Paulus hat es erkannt und offenkundig auch Frauen Leitungsdienste in den von ihm gegründeten Gemeinden übernehmen lassen: von der Apostelin Junia wissen wir, auch von der Diakonin Phöbe, von Julia, Tryphäna und Tryphosa, von Persis – all diese Frauen lässt Paulus grüßen am Ende seines Briefes an die Gemeinde von Rom. Und gerade bei den Frauen fügt er hinzu: Sie haben für den Herrn, für Jesus Christus, viel Mühe auf sich genommen. Ja, so sind wir Frauen – viele von uns nehmen viel Mühe auf sich in den christlichen Gemeinden bis heute – so ist es gewiss auch hier in Neuenkirchen.

 

Der Evangelist Markus hat das Gedächtnis der Frauen bewahrt, die Augenzeuginnen der Kreuzigung waren. Die Frauen sind nicht geflohen.  Frauen bleiben in der Nähe vom Kreuz – damals wie heute. Auch heute sind es vor allem Frauen, die Menschen am Ende ihres Lebens begleiten – die Töchter zu Hause, die Frauen in den Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern. Gewiss weichen auch viele Männer der Not nicht aus. Streiten wir nicht darüber, wer mehr oder weniger zur Nachfolge berufen ist! Freuen wir uns einfach über alle, die bei einem leidenden Menschen bleiben.

 

Bleiben – bleiben in der Kirche Jesu Christi – das ist eine große Herausforderung für viele Frauen heute vor allem in Europa. Jeder und jede kann nur die eigene Entscheidung treffen in der ihm und ihr verbleibenden Lebenszeit. Ich habe mich entschieden, in der Römisch-katholischen Kirche zu bleiben. Ich erlebe nicht erst seit dem Synodalen Weg mehr und mehr in unserer Weltkirche nachdenkliche Menschen, die sich fragen, warum Frauen nicht auch in amtlichen Leitungsdiensten tätig sein könnten. Was fehlt uns eigentlich? Argumentativ möchte ich eintreten für die Teilhabe von Menschen eines jeden Geschlechts an allen kirchlichen Ämtern. Möglicherweise kommt bald die Entscheidung, dass Frauen zu Diakoninnen ordiniert werden können. Sie tun dann einen Dienst an den Diensten aller Glaubenden, die in der Taufe zur Nachfolge berufen sind. Paulus erinnert in der Lesung daran: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht“ (Phil 2,5). Füreinander leben wie ein Sklave – einander dienen mit allen Lebenskräften, füreinander da sein, nicht zuerst an das eigene Wohl denken – das versuchen Frauen und Männer tagtäglich – leben im Geist Jesu Christi – und manchmal gelingt es uns auch.

 

Warum musste Jesus leiden? Warum geht der Weg zum Leben bei Jesus durch den Tod hindurch? Ich verstehe dies so: In seinem Sterben, das Jesus nicht gesucht, nicht gewollt, nicht angestrebt hat, sondern ertragen und anfangs auch mit Widerstand erduldet hat, leuchtet die Größe der Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes auf. Jesus ist Gottes menschliches Ebenbild in Zeit und Geschichte. In Jesus zeigt sich Gott in Menschengestalt. Jesus wollte nicht leiden. Er nimmt sein Leiden auf sich, damit wir erahnen, wer Gott ist: ein immerzu zur Versöhnung bereites Wesen, das uns Leben schenken möchte – ewiges Leben.

 

Auch wir sollen nicht das Leiden und nicht den Tod suchen, sondern das Leben. Wenn es aber uns widerfährt, dass andere Menschen uns anfeinden, dann sollen wir wie Jesus geduldig sein: Als Getaufte sollen wir im Geist Jesu Christi personale Zeichen für Gottes große Versöhnungsbereitschaft sein. Es gibt kein Leben mit anderen Menschen und für andere Menschen ohne die Bereitschaft zum Mitleiden. Wer wahrhaft liebt, leidet mit den Leidenden. Nicht das Leid ist dabei das Ziel, das Leben ist das Ziel. Gott möchte den Ein­satz unseres Lebens. Menschen sind um uns, die nach Anerkennung, nach Aufmerksamkeit, nach Zuwendung, nach Achtung hungern. Gehen wir hin zu ihnen! Führen wir sie hinein in das Leben!

 

Ich komme am Ende zurück auf die Rede am Anfang: Die Rede von der Mutter Anna, die Maria geboren hat. Unter Schmerzen gebären, das ist das Los von Frauen. Neu geboren werden – dieses besondere Ereignis ist in der Traditionsgeschichte zu einem Bildwort für unsere Erlösung geworden. Anselm von Canterbury wagt es im 11. Jahrhundert in bildhafter Rede, von Jesus als unserer Mutter zu sprechen. Er sagt: „Und du, Jesus, liebster Herr, bist du nicht auch Mutter? Wahr­lich, du bist eine Mutter, die Mutter aller Mütter. Du hast den Tod geschmeckt, in deinem Wunsch, deinen Kindern Leben zu geben“. Die Erinnerung an die Erfahrung ge­bären­der Frauen, in den Wehen des Todes zu liegen und diese Wehen zu bejahen in der mütterlichen Bereitschaft, sich selbst schmerzvoll den Leib zerreißen lassen zu wollen, damit das lange getragene Leben ans Licht kommen und schreiend sein Dasein zu Gehör bringen kann, diese Bildrede illustriert die gläubige Überzeugung von der erlösenden Bedeutung des Todes Jesu: Jesus stirbt friedfertig. So ist Gottes Sohn – bereit, bis zum Äußersten, bis zum Tod sein Leben zu geben für uns – damit wir zum wahren Glauben finden – und nicht mehr leben in Trauer und Angst, vielmehr in Freude und Hoffnung.

 

 

Amen.