Freude spielt als Stichwort im Advent eine große Rolle, irgendwie als Pflichtprogramm im Advent. Aber jetzt mal ehrlich: Ist Ihnen nach „freuen“ zumute? Nicht wirklich, oder? Wohin man auch schaut: eine Krise folgt der anderen! Die Welt rennt Diktatoren hinterher, die Kriege rücken immer näher, der Riss durch die Gesellschaft wird immer tiefer. Machen wir uns nichts vor: Nicht Freude, Angst ist das Wort der Stunde. Angst vor wirtschaftlichem Abstieg, Angst vor Fremden, Angst vor dem Klimawandel. Und das ist nur der kollektive Teil der Angst. Vielleicht sind die Grundängste, die tief in jedem und jeder von uns sitzen, noch viel belastender. Die Angst vor Einsamkeit zum Beispiel, oder die, von anderen vereinnahmt zu werden. Die Angst vor Veränderungen, die unsicher machen oder die davor, dass meine Zeit begrenzt ist.Und letztlich natürlich die Angst vor dem Tod. Es gibt Zeiten, in denen die Zuversicht, das Vertrauen ins Leben größer ist und es gibt Phasen, in denen die Angst die Regie übernimmt. Zumindest, was die kollektive Seite angeht, leben wir gerade in einer Angstzeit. Darüber kann dann auch die lockerste Glühweinfröhlichkeit auf dem Weihnachtsmarkt nicht hinwegtäuschen.

Ein Adventslied, das oft gesungen wird, beginnt mit „Tochter Zion, freue dich.“ Dieses Lied kommt ganz leicht, schwungvoll und festlich daher. Ganz das Gegenteil von Angst und Schwermut. Es zitiert Worte des Propheten Sacharja:

Juble laut, Tochter Zion!

Jauchze, Tochter Jerusalem!

Siehe, dein König kommt zu dir.

Kein Wunder, dass dieser Text als Hinführung zum Weihnachtsfest gesungen wird. Am Ende der Adventszeit feiern wir die Geburt des Christus. Viele Adventslesungen handeln von der Erwartung eines Königs, eines Gesalbten, auf Hebräisch des Messias, auf Griechisch des Christus.

Doch was für unsere Ohren so selbstverständlich klingt, ändert sich, sobald man danach fragt, in welcher Situation der Prophet die Leute aufforderte zu jubeln. Es war nämlich eine Zeit, in der niemandem zum Jubeln zumute war.

Entstanden ist der Text im dritten Jahrhundert vor Christus. Es war eine Epoche großer gesellschaftlicher Umbrüche, verbunden mit Krieg, Gewalt und wirtschaftlichen Unsicherheiten. Gar nicht viel anders als heute.

333 bei Issos Keilerei. Dieser Reim bezieht sich auf den Sieg der Griechen über die Perser. Der hatte Auswirkungen auf die Völker an der östlichen Mittelmeerküste. Griechisches Denken, griechische Kultur, griechische Religion wurden seitdem verpflichtend. Sie prägten ab dem späten 4. Jahrhundert vor Christus den gesamten Nahen Osten. Auch Judäa wurde von griechischen Königen beherrscht. Den Machtansprüchen dieser neuen Herrscher setzt Sacharja sein alternatives Modell entgegen. Er charakterisiert den von Gott geschickten König so:

Gerecht ist er und Rettung wurde ihm zuteil,

demütig ist er und reitet auf einem Esel,

ja, auf einem Esel, dem Jungen einer Eselin.

Der König, der so bejubelt wird, kommt gerade nicht so, wie die Leute Herrscher gewohnt waren, nicht mit Waffengewalt, sondern mit Gerechtigkeit als Regierungsprogramm. Esel waren die Transporttiere der einfachen Leute. Pferde dagegen dienten als Schlachtrosse. Wenn einer herrscht, der auf einem Esel reitet, leben alle in Frieden.

Sacharja wirft den Herrschern der bisherigen Geschichte Hochmut und Gewalt vor – dem könnten wir uns heute anschließen! Er erwartet einen König, der Kriege beendet und Frieden stiftet. Und was erwarten wir? Die Sehnsucht nach einer Welt ohne Krieg, Gewalt und Angst, ja, die haben wir alle. Aber wir alle wissen auch genau, am 27. Dezember wird es nicht friedlicher sein, als am 1. Dezember. Die Aufforderung zu Jubel und Freude kommt zu früh. Sacharja ruft „jubelt!“ noch bevor eingetreten ist, was zur Freude Anlass geben könnte. Noch ist es nicht so weit. Wir warten. Wir warten nicht nur aufs Christkind in der Heiligen Nacht. Wir warten immer noch darauf, dass das was der damals Geborene angekündigt hat, endgültig wahr wird.

Die zweite Strophe von „Tochter Zion“ heißt:  Hosianna! Davids Sohn, sei gesegnet deinem Volk!“ Hosianna ist kein Jubelruf, sondern eine Bitte. Übersetzt heißt sie: „Rette doch!“ Die Aufforderung der Menschen zum Jubel hat ihr Gegenstück in der Aufforderung Gottes zu retten. Wenn Sacharja Zion mitten im Chaos und in der Untergangsstimmung zu Jubel motiviert, ist das ein Anti-Angst-Programm. Es ist ein Programm, das die berechtigten Ängste wahr und ernst nimmt, aber darauf vertraut, dass es Rettung gibt. Das daran glaubt, dass Gott das Hosianna hört und retten wird.

Wenn wir im Advent „Tochter Zion freue dich“ singen, wissen wir, dass es nicht gut um unsere Welt bestellt ist. Dieses Lied ist eine Einladung, ganz bewusst der Angst vor dem Untergang das Vertrauen auf Rettung entgegenzusetzen. Es ist die Einladung, sich mutig dem Leben in die Arme zu werfen. Am Ende wird alles gut. So sicher, dass auch jetzt schon Freude möglich ist. Wir wünschen Ihnen einen frohen Advent.

Eine mit passender Musik und stimmungsvollen Bilder versehene Version dieses Textes finden Sie unter https://youtu.be/EjRQbRzPIRY?si=5rNoXzzBtmx4CFtT