Kennen Sie Namen von prophetisch begabten Menschen in der Bibel? In der gerade hinter uns liegenden Weihnachtszeit tauchen in den Lesungen die Propheten Jeremia und Ezechiel auf. In der Karwoche spielen Texte von Jesaja eine große Rolle. Und womöglich sagen Ihnen die Namen Elija und Jona auch etwas.
Fällt Ihnen etwas auf? Das sind alles Männer.
Gibt es gar keine Prophetinnen? Doch! Aber erstens sind es weniger und zweitens sind die nicht so bekannt, wie ihre männlichen Kollegen. In den letzten Jahren hat es sich ziemlich rumgesprochen, dass Moses Schwester Mirjam eine Prophetin war. Aber wer kennt schon die Prophetinnen Deborah oder Hulda? In diesem Text geht es um eine Prophetin und das, was sie uns sagen kann.
Am 2. Februar feiern wir das Fest der Darstellung des Herrn. Durch den Namen wird angezeigt, dass es um ein Fest geht, an dem Christus im Zentrum steht. Vielen ist das Fest unter dem Namen Mariä Lichtmess vertrauter. Dieser Name macht aus dem Herrenfest ein Marienfest. Bis zum 4. Jahrhundert hieß der Tag „Fest der Begegnung“ und in den Ostkirchen heißt er bis heute so. Damit wird das Ereignis, um das es hier geht, zum Mittelpunkt: Der Messias kommt in den Tempel und begegnet dem Gottesvolk, vertreten durch den Propheten Simeon und die Prophetin Hanna.
Das Lied Simeons wird bis heute als kirchliches Nachtgebet gesprochen. Aber Hanna hat keine Karriere gemacht: schon der Evangelist lässt sie nicht zu Wort kommen. Er schreibt nicht, was Hanna gesagt hat. Und die Kurzfassung des Festevangeliums verzichtet komplett auf den Abschnitt, in dem die Begegnung des Kindes mit der Prophetin Hanna erzählt wird.
Doch auch aus dem wenigen, was Lukas über Hanna schreibt, kann man einiges über diese Prophetin sagen. Er schreibt:
Hanna war eine Prophetin, eine Tochter Penuëls, aus dem Stamm Ascher. Sie war sehr alt. Als junge Frau war sie sieben Jahre verheiratet gewesen, danach blieb sie Witwe bis ins hohe Alter von 84 Jahren. Sie ging nicht vom Tempel fort, sondern tat kultischen Dienst mit Fasten und Beten, Tag und Nacht. Und genau zu dieser Stunde stand sie da, pries Gott und sprach darüber zu allen, die die Befreiung Jerusalems erwarteten.
Zunächst einmal ist es bemerkenswert, dass Lukas den Namen der Prophetin überliefert. Denn das ist nur bei wenigen Frauen der Fall. Denn allzuoft bleiben Frauen in der Bibel namenlos. Hanna hat einen programmatischen Namen. Wie in Johanna auch steckt in Hanna Chen, das hebräische Wort für „Gnade“, Hanna heißt also übersetzt „die Begnadete“. Der Text handelt davon, dass dieser Name in Hannas Leben Wirklichkeit wird.
Bei der Begegnung im Tempel ist Hanna eine alte Frau. Eine sehr alte Frau: Denn 84 Jahre war vor zweitausend Jahren ein „biblisches“ Alter. In der Antike hatten alte Menschen wegen ihrer großen Erfahrung ein besonderes Ansehen. Alter wurde eher mit ehrwürdig als mit veraltet zusammengedacht.
Aber möglicherweise versteckt sich hinter der Zahl auch ein Symbol: 12 x 7 ergibt 84. Die Zwölfzahl symbolisiert das Gottesvolk aus 12 Stämmen. Hanna repräsentiert die ganze Geschichte der Erwählung, die mit Christus an ihr Ziel kommt. Und die Sieben ist nicht nur in der Bibel eine heilige Zahl. Sie symbolisiert Glück, Vollkommenheit und Erleuchtung. Im Fall der Hanna ist Erleuchtung besonders wichtig. Sie ist selbst erleuchtet in ihrer Erkenntnis des Messias und sie gibt dieses Licht weiter an ihr Volk.
Hannas Leben ist durch ihren Glauben geprägt. Sie hält sich die ganze Zeit im Tempel auf, fastet und betet. Damit sagt Lukas, dass sie das Idealbild einer frommen Frau ist. Hanna ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort; sie versteht, was hier geschieht und interpretiert es richtig, auf dem Hintergrund ihres Alters, ihrer Erfahrungen und ihres Glaubens. Erstens:sie lobt Gott, so wie die Engel bei Jesu Geburt Gott loben. Und zweitens: sie verkündigt Jesus als den Erlöser. Als gute Prophetin deutet sie die Situation: Mit diesem Kind beginnt die erhoffte Befreiung Israels. Diese Deutung hält sie nicht für sich: Prophetisch begabte Menschen tragen Gottes Wort in die Welt. Hanna verkündigt Jesus allen, die auf die Befreiung warten.
Im Neuen Testament wartet Israel auf die verheißene Heilszeit, auf Befreiung. Und heute? Erwarten wir Gottes gute neue Welt? Und deuten wir unsere alltäglichen Begegnungen mit Glaubensaugen? Ich lade Sie ein, ihre prophetische Seite in sich zu entdecken. Gehen Sie auf die Suche nach Begegnungen, in denen Gottes Licht aufscheint. Und erzählen Sie anderen davon, dass es nicht nur Hass, Unterdrückung, Fakenews und Egoismus gibt, sondern auch Liebe, Hingabe und befreiende Neuigkeiten.
Diesen Text finden Sie als geistlich-musikalischen Impuls auf YouTube unter folgendem Link:
Prof.in Dr. Eleonore Reuter